Konzertreise nach Kiew, 10. – 13. Mai 2018
Wieso ausgerechnet nach Kiew?
Nun, wenn unsere Vorsitzende aus Kiew stammt, und wenn sie dort einen „Heimatchor“ hat, und wenn der 2016 bei uns in Dresden zu Besuch und bei Chormitgliedern untergebracht war …
… dann natürlich nach Kiew! Genauer: Zum Gegenbesuch beim Akademischen Chor der Nationalen Technischen Universität „Kiewer Polytechnisches Institut Ihor Sikorskyj“.
Und so kam es, dass am 10. Mai 2018, einem sonnigen Himmelfahrtstag, morgens kurz nach zehn in der Bayrischen Straße sich eine erwartungsfrohe Reisegruppe versammelte, der kein gewöhnlicher Männertagausflug bevorstand: Ein Bus fuhr vor, und als das Gepäck verstaut und alle an Bord waren, ging’s über die Autobahn ins Tschechische. Rasch war der Bus an der Abfahrt zur Landstraße nach Ruzyně, aber… mit rasch war es hier vorbei, der Verkehr staute sich, die Zeit verstrich, die Anspannung wuchs … doch wir erreichten den Flughafen noch rechtzeitig. Nun die üblichen Kontrollen, dann ein Flug bei meist guter Bodensicht, und abends gegen 18 Uhr Ortszeit auschecken in Kiew. Der Leiter des Kiewer Chors, Ruslan M. Bondar, und mehrere deutsch sprechende Studierende, darunter Olga, die uns während der nächsten beiden Tage als Dolmetscherin betreute, begrüßen uns herzlich und geleiteten uns nach draußen vor den Flughafen … zum Warten auf den Bus: Kiew empfing uns so, wie es sich an den nächsten Tagen mehrfach präsentieren sollte, mit einem Stau. Im Bus auf der Fahrt in die Stadt gab es dann einen ukrainischen Willkommensgruß mit Gurken, Speck und einem Gläschen Wodka, und bald waren wir im Hotel „Lybid“, einem modernen Hochhaus am Peremogi-Platz. Nach der Zimmerverteilung spazierten wir zwei Straßenecken weiter zu einem Restaurant, wo sie schon auf uns warteten und wo unser inzwischen doch recht reger Appetit mit guter ukrainischer Küche gestillt wurde.
Freitag, 11.Mai 2018
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fuhren wir zu einem der großen Wunderwerke von Kiew: Wir konnten das Mariä-Himmelfahrt-Kloster mit dem berühmten Höhlenkloster besichtigen, und es gab wohl niemanden unter uns, der nicht beeindruckt war von der Pracht, Größe und Vielfalt dieser Anlage. Sie vermittelt einen Eindruck davon, welche wichtige Rolle das alte Kiew für die Entwicklung des slawischen Kulturraums gespielt hat und, nicht nur für die orthodoxe Kirche, auch heute weiterhin spielt. Das Wetter übrigens war tatsächlich so schön, wie die Bilder es zeigen, und es blieb auch die ganze Zeit über so.
Direkt neben dem Kloster ist eine Anlage aus neuerer Zeit; die wir im Anschluss auch in Augenschein nahmen: Kiew war in der UdSSR „gorod geroj“, eine Heldenstadt, und die Erinnerung an diese – vor allem tragische und schmerzliche – Zeit wird in einem eigenen Ensemble wach gehalten.
Natürlich waren wir nicht in erster Linie der Sehenswürdigkeiten wegen nach Kiew gereist, beileibe nicht. Unsere Chorkleidung hatten wir nicht umsonst vor der Fahrt zur Besichtigung sorgfältig eingepackt und im Bus zurück gelassen. Am Heldendenkmal holte uns der Bus ab und brachte uns direkt zur Technischen Universität, wo der erste Auftritt zusammen mit unseren Gastgebern vorgesehen war. Wobei „direkt“ in der Stadt Kiew nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit „schnell“: Der Verkehr war derart dicht, dass wir für eine Strecke, die laut Google Maps 18 Minuten dauert, geschlagene neunzig Minuten „unterwegs“ waren und deshalb zu dem dreigängigen Mittagessen, das uns vor dem Konzert in der Universität erwartete, leider erst mit gehöriger Verspätung eintrafen – leider vor allem für unsre Gastgeber, die uns gerne noch weiter bewirtet hätten. Dennoch kamen wir gestärkt zur Aula der Universität, einem beeindruckenden Saal in einem beeindruckenden Gebäude, und stimmten uns, nunmehr in Chorkleidung, auf diesen ersten Auftritt ein. Zuvor jedoch fand nun die offizielle Begrüßung statt – unser Axel konnte das Gastgeschenk kaum stemmen!
Im anschließenden Chorkonzert gaben, wie es Brauch ist, zunächst die beiden Chöre Kostproben ihres Repertoires, bevor wir gemeinsam einige Stücke sangen, die wir vorher abgesprochen und geübt hatten. Das ist immer ein spannender Moment: Wie klingt das Stück, wenn wir es gemeinsam singen? Werden unsere Gastgeber damit zufrieden sein, wie „ihr“ Stück mit uns zusammen klingt? Nun, das ukrainische Marienlied „Через поле широкее“ gefiel allen gut, und wir haben es danach oft in unseren eigenen Konzerten gesungen. Fasziniert waren wir aber auch von einem der englischen Lieder, die der Chor der TU zum Besten gab: „Shut de do“ von Randy Stonehill, ein richtig fetziges Stück, das die Kiewer mit Verve vortrugen. Es hat dann zu Hause in Dresden ein Weilchen gedauert, bis wir es in allen rhythmischen und sprachlichen Feinheiten „drauf hatten“, aber nun gehört es zu unserem Kernrepertoire, und wir singen es auswendig!
Nach dem Konzert war …. nein, nicht vor dem Konzert (das auch oft), es war vor der gemeinsamen Feier! Dafür hatten unsere Gastgeber eigens einen Raum in einem anderen Gebäude des weitläufigen Campus reserviert, wo wir uns jetzt hinbegaben. Es kam, wie es an allen Unis oft kommt: Der Raumplan war nicht verlässlich und es hatte Doppelbelegung gegeben. Wir warteten an dem schön sonnigen Freitagnachmittag draußen vor dem Gebäude, bis ein Ausweichquartier gefunden war, und das war nun schon eine Besonderheit: Es war der große Hörsaal, in dem schon Dimitrij I. Mendeleev Vorlesung gehalten hatte, an der Stirnwand hing auch „sein“ Periodensystem der chemischen Elemente in moderner Fassung. So feierten denn beide Chöre an wissenschaftshistorisch bedeutender Stätte gemeinsam mit Essen, Trinken und fröhlichem gemeinsamen Gesang, und es hätte Mendeleev sicher gefallen, wie da unter seiner Tabelle zwei Kulturen zusammen kamen, ganz so, wie sich chemische Elemente verbinden können zu etwas Neuem, Eigenen.
Der verbleibende Freitagabend war „freie Zeit“: Nach dem Abendessen im Restaurant war Gelegenheit für einen ersten Stadtbummel, oder was immer jemand zu tun vorhatte; vielfach traf man sich auch einfach in der Bar des Hotels auf ein Schwätzchen.
Sonnabend, 12. Mai 2018
Für den Sonnabend stand ein recht vielseitiges und straffes Programm im Plan. Nach dem Frühstück hieß es: Chorkleidung gut einpacken, vielleicht auch etwas „Feineres“ für den Abend, denn viele von uns hatten sich zu einem Abend in der Kiewer Oper angemeldet. Zunächst jedoch fuhren wir mit dem Bus ans Ufer des Dnjepr, wo uns ein Ausflugsschiff erwartete. Kiew vom Fluss aus ist ein lohnendes Erlebnis und gibt einen Eindruck davon, wie groß und weitläufig diese Stadt mit ihren fast drei Millionen Einwohnern ist. Wir genossen die Fahrt und hatten Zeit, uns mit unseren Gastgebern zu unterhalten.
Auf die Bootsfahret folgte ein ganz besonderes Reise-Erlebnis, quasi als Ergänzung zur Dampferfahrt: Wir fuhren mit der U-Bahn, der Kiewer Metro, zurück ins Stadtzentrum und passierten dabei auch die Station „Arsenalna“, die mit 105 Metern unter der Oberfläche zu den weltweit am tiefsten gelegenen zählt.
(Dies ist nicht die „Arsenalna“, es ist die Station „Teatralna“, an der wir ausstiegen, und sie gab einen Eindruck davon, wie liebevoll auch in Kiew die Tunnel-Bahnhöfe der Metro ausgestaltet sind. Und wie fröhlich man die breiten Gänge entlangflanieren kann.)
Als wir aus der Metro wieder an die Erdoberfläche kamen (die Rolltreppen sind lang und steil, und sie haben ein gehöriges Tempo drauf), standen wir vor dem „Goldenen Tor“, berühmt nicht zuletzt musikalisch als das „Große Tor von Kiew“, und es ist wahrhaftig groß und wehrhaft – kein Wunder, dass es selbst dem Mongolenansturm 1240 standhielt. Nur der Zahn der Zeit konnte ihm etwas anhaben, deshalb ist der heutige Bau eine exakte Rekonstruktion des Originals von 1037.
Hier teilte sich unsere Reisegruppe (wir waren ja immerhin 60 Personen!) und es schloss sich eine Führung durch das Zentrum Kiews an. Ein Höhepunkt war hier wieder ein Kirchenbauwerk, die Klosterkirche St. Michael, bemerkenswert (gerade für Dresdner) nicht zuletzt deswegen, weil der eindrucksvolle Bau im Stil des ukrainischen Barock während der Stalinzeit dem Erdboden gleich gemacht, aber nach dem Ende der Sowjetunion wieder aufgebaut und erst am 30. Mai 1999 neu eröffnet wurde. Finanziert wurde der Wiederaufbau im Wesentlichen durch Spenden, und einige erhalten gebliebenen Reste der ursprünglichen Kirche fanden beim neuen Bau Verwendung.
Der weitere Stadtrundgang ließ uns erahnen, was alles wir nicht ansehen konnten: Immer wieder Kirchen und Klöster, aber auch Jugendstil, Parks, Einkaufsstraßen, Denkmäler und nicht zuletzt das „Bulgakow-Haus“, wo der Schriftsteller dreizehn Jahre lang wohnte und das ja mindestens für Fans von „Master i Margerita“ eigentlich ein Muss gewesen wäre… aber was soll man alles noch in nur (gut gerechnet) zweieinhalb Tage drängen? Wir jedenfalls mussten unbedingt zum Mittagessen in einem Restaurant sein, von wo uns der Bus durch den Verkehrsstau der Innenstadt zum Ort unseres zweiten Konzerts brachte: Die Katharinenkirche der deutschen evangelischen Gemeinde Kiews im Stadtteil Lipki. Unser Konzert gemeinsam mit unseren Gastgebern war gut besucht und fand allgemeinen Beifall – selbst Axel war von diesem Ergebnis seiner und unserer Probenarbeit angetan.
Unser gemeinsames Konzert in der schlichten, lichtdurchfluteten Kirche der evangelischen deutschen Gemeinde in Kiew
Nach dem Konzert ist … vor dem Opernbesuch! So jedenfalls für die aus unserer Reisegruppe, die Karten für Джузеппе Верді, Набукко vorbestellt hatten (und die hinterher begeistert von der Aufführung berichteten). Die anderen machten sich wieder auf den Weg ins Hotel, will sagen, sie enterten einen Linienbus, und zwar einen Trolleybus, was manche Erinnerungen wachrief. Nun blieb leider nur noch ein Abend in Kiew, den jede und jeder auf ihre Art verbrachten, viele in Begleitung Kiewer Studenten und wohl alle auf die eine oder andere Art in der Innenstadt: Stichwort Chreschtschatyk, oder Maidan, oder… auch hier ließen sich unschwer noch viele Erlebnisse aufführen. Wir haben alle viele eigene Erinnerungen an diese wunderbare Chorreise.
Sonntag, 13. Mai 2018
Bleibt nur noch der Sonntag, und der geht schnell: Früh auf, 6:00h Uhr Lunch-Paket in Empfang nehmen, 6:40h Abfahrt, 9:25h Abflug, 10:35h Ankunft Prag, Busfahrt, und schon kurz nach Mittag am Sonntag waren wir alle wieder in Dresden.
Kiew? Ein Traum…
Wir bedanken uns herzlich bei unseren Partnern und Gastgebern: Bei Ruslan, bei Olga und bei allen Mitgliedern des Chors der Technischen Universität Kiew, sowie bei etlichen privaten Gastgebern, die hier keine namentliche Erwähnung fanden!
Bericht von Rainer (Tenor)
Bilder von Chormitgliedern